Human- und ökotoxische Stoffe

erstellt am 25.02.2022 von Christoph Schwemberger — zuletzt geändert 11.11.2022

Quelle: wohngesund, 31.12.2021

Vier Stoffgruppen standen im Fokus der Analyse:

Stoffe, die unter REACH fallen, aber noch nicht harmonisiert eingestuft sind Hormonwirksame Stoffe (endokrine Disruptoren) Fehlende Registrierungspflicht gemäß REACH für Polymere Potenzielle Schadstoffe in Recycling-Kunststoffen

1. Stoffe die unter REACH fallen, aber noch nicht harmonisiert eingestuft sind

Seit 2018 gilt REACH in vollem Umfang und stellt damit das Vorsorgeprinzip ins Zentrum regulatorischer Maßnahmen im Chemikalienbereich: „no data no market“. Damit sollte nach 11-jähriger Übergangsfrist für Stoffe aller Mengenklassen genügend Information für eine sichere Einstufung der Chemikalien zur Verfügung stehen. Die Industrie ist jedoch in der Bereitstellung vollständiger Dossiers säumig und mit Stand Ende 2020 muss festgestellt werden, dass das in REACH seit 2007 verankerte Vorsorgeprinzip Prinzip in absehbarer Zeit nicht erreicht werden wird. Die Nichtkonformität von Registrierungsdossiers stellt daher ein wesentliches Hindernis für weitere Fortschritte in der nachhaltigen Chemikalienpolitik dar. Zu dieser Schlussfolgerung kam auch die Europäische Kommission bei der Überprüfung der REACH-Verordnung. Die ECHA und die Kommission haben daher in der Zwischenzeit einen gemeinsamen Aktionsplan ausgearbeitet, um die Konformitätsprüfungen aller Registrierungsdossiers zu verstärken. 

2. Hormonwirksame Stoffe (endokrine Disruptoren)

Die Wissenschaft zeigt immer öfter eine hormonelle (endokrine) Wirkung von Substanzen. Diese Substanzen wirken ähnlich wie körpereigene Hormone und gelten als Mitauslöser für zahlreiche Krankheiten. Für die endokrine Wirkung von Stoffen gibt es derzeit noch keinen H-Satz. Sie können derzeit bei der ökologischen Bauproduktauswahl nur erkannt werden, wenn sie auch als SVHC (besonders Besorgnis erregende Substanz) eingestuft wurden. Für hormonwirksame Stoffe fehlt daher eine einfache Nachweismethoden für ein entsprechendes Verbotskriterium „Ausschluss von hormonwirksamen Substanzen“. Diese Problematik wird auch von der Europäischen Kommission im Green Deal [1] (Abschnitt „2.1.8.Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt“) angesprochen. Die Kommission hält die Notwendigkeit fest, dass wissenschaftliche Erkenntnisse über das Risiko, das von endokrinen Disruptoren ausgeht, rasch in den Rechtsrahmen übertragen werden müssen. In der auf den Zielfestlegungen des Green Deals beruhenden „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ [2] schlägt die Europäische Kommission unter anderem die Einführung einer rechtsverbindlichen Gefahrenkennzeichnung für endokrine Disruptoren und die Beschleunigung der Entwicklung und Verbreitung von Methoden für die Gewinnung von Informationen zu endokrinen Disruptoren durch das Screening und das Testen von Stoffen vor.

3. Fehlende Registrierungspflicht gemäß REACH für Polymere

Polymere sind aktuell „wegen der potenziell sehr großen Zahl unterschiedlicher Polymerstoffe auf dem Markt und der Tatsache, dass Polymermoleküle aufgrund ihres hohen Molekulargewichts im Allgemeinen als wenig besorgniserregende Stoffe gelten“ generell von der Registrierung und Bewertung gemäß REACH-Verordnung ausgenommen. Diese Problematik hat auch die Europäische Kommission in der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit erfasst und hält dort als geplante Maßnahmen einen „Vorschlag zur Ausweitung der Registrierungspflicht gemäß REACH auf bestimmte bedenkliche Polymere“ fest. Dies ist vor allem hinsichtlich potenzieller Karzinogenität und anderer kritischer Gefahren auf allen Produktionsstufen von grundlegender Bedeutung.

4. Potenzielle Schadstoffe in Recycling-Kunststoffen

Immer wieder weisen Untersuchung von alltäglichen Konsumartikeln aus Kunststoffen hohe Konzentrationen von Schadstoffen wie Flammschutzmittel, Weichmacher, Duftstoffe oder PAKs auf (siehe z.B.  und ). Viele dieser Schadstoffe gehören zu den POPs (persistant organic pollutants) oder sind sonstige besorgniserregende Substanzen. Da es für diese Schadstoffe bis vor wenigen Jahren noch keine Grenzwerte gab, liegt der Schluss nahe, dass diese Schadstoffe (auch) über rezyklierte Kunststoffe eingeschleppt worden sind. Derzeit liegt uns keine vergleichbare Studie vor, die den Einsatz von rezyklierten Kunststoffen in Bauprodukten und deren Gehalt auf gefährliche Stoffe systematisch untersucht hat. Es muss jedoch auch für den Baubereich von einer vergleichbaren Situation ausgegangen werden. Auch die Europäische Kommission stellt in ihrer Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit fest, dass „dafür gesorgt werden muss, dass der Gehalt von bedenklichen Stoffen in Produkten und Rezyklaten auf ein Minimum reduziert wird. Grundsätzlich sollte für Frischmaterial und für Rezyklate derselbe Grenzwert für gefährliche Stoffe gelten.“ Als geplante Maßnahme wird die „Sicherstellung, dass Zulassungen und Ausnahmen von Beschränkungen für Rezyklate im Rahmen der REACH-Verordnung Ausnahmefälle darstellen und gerechtfertigt sind“ genannt.

Schlussfolgerung
Der Einsatz von Produkten, die human- und ökotoxische Stoffe enthalten, soll im wohngesunden Bauen so gut wie möglich vermieden werden. Für die vier betrachteten Stoffgruppen – (noch) nicht harmonisiert eingestufte Stoffe, hormonwirksame Stoffe, Polymer und Recycling-Kunststoffe – bestehen Regelungslücken in REACH. Um wohngesundes Bauen garantieren zu können, genügt es daher aktuell nicht, sich auf die Vorgaben der Regulierung von Stoffen auf dem Europäischen Markt zu verlassen. Nach wie vor ist das Wissen über Einzelsubstanzen von Expert*innen, NGOs, oder Wissenschaftlichen Studien erforderlich, welches in mühevollen Recherchen gewonnen wurde. Langfristig können die im Rahmen der Europäische Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit geplanten Maßnahmen Abhilfe schaffen. In der Zwischenzeit ist der Aufwand für die Programmbetreiber*innen in allen Regionen enorm, für jeden Stoff zu ermitteln, wie weit das Einstufungsverfahrens jeweils fortgeschritten ist bzw. ob es einen Verdacht auf eine human- oder ökotoxisch relevante Wirkung gibt. Daher wurde die Einrichtung einer gemeinsamen (internen) Stoffdatenbank angedacht, in der das bei den einzelnen Programmbetreiber*innen verstreute Wissen über den Status einzelner Stoffe gesammelt werden kann. Die Datenbank könnte die Programmbetreiber*innen dabei unterstützen, über die Vermeidung einzelner Stoffe auf Grund ihrer toxischen und ökotoxischen Eigenschaften zu entscheiden, noch bevor die Einstufung über REACH abgeschlossen ist.

Referenzen:
[1] COM(2019) 640 final: Mitteilung der Europäischen Kommission: Der europäische Grüne Deal- Brüssel, den 11.12.2019
[2] COM(2020) 667 final: Mitteilung der Europäischen Kommission: Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit. Für eine schadstofffreie Umwelt. Brüssel, den 14.10.2020

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